No-Deal-Brexit: Schwere Zeiten für den Retail- und Kreditmarkt
Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn sich Boris Johnson und die EU doch noch auf einen geregelten Austritt Großbritanniens einigen könnten. Unternehmen auf der Insel geraten derweil zunehmend in Schwierigkeiten. Doch auch für den Kreditmarkt und die deutschen Banken hat der Brexit schon jetzt unangenehme Folgen.
Wie die Axt im Walde: So kann man den politischen Stil von Boris Jonson wohl ganz gut umschreiben. Besonders gegenüber der EU will der Premierminister Stärke demonstrieren. Er wird den Brexit mit aller Macht erzwingen – im Notfall eben ohne Deal. Dafür ist er angetreten, die Folgen scheren ihn dabei zumindest bislang wenig bis gar nicht. Sollte Großbritannien am 31. Oktober ohne Abkommen die Europäische Union verlassen, ist ohnehin schon klar, wem der Premier die Schuld in die Schuhe schiebt: der EU selbst – und seiner Vorgängerin Theresa May natürlich.
Klar ist auch, ein No-Deal-Brexit wird weitreichende Konsequenzen haben: für Großbritannien und für ganz Europa. Schon jetzt schwächelt die englische Wirtschaft. Das Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal 2019 im Vergleich zum Vorquartal gesunken – zum ersten Mal seit 2012. Ein deutliches Warnsignal, dass in Großbritannien aktuell etwas gründlich schiefläuft.
Unternehmen werden zu „Zombies“
KPMG hat berechnet, dass aktuell knapp 15 Prozent der britischen Unternehmen mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Jede zehnte Firma zeigt laut der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sogar bereits „zombie-ähnliche Symptome“. Als Zombies werden gemeinhin Unternehmen bezeichnet, die keine Gewinne abwerfen und sich nur aufgrund günstiger Refinanzierungen am Leben halten können. Dreht sich die Wirtschaft in Richtung einer Rezession, sind sie nicht mehr zu retten.
Das veränderte Konsumverhalten der Briten ist wohl ein Grund für die schwächelnde Wirtschaft auf der Insel. Der Brexit verunsichert die Menschen, die ihr Geld nun lieber sparen als es auszugeben. Auch gestiegene Lebenshaltungskosten spielen eine wichtige Rolle. Für viele Einzelhändler hat das fatale Folgen: Sie können ihre Mieten nicht bezahlen und müssen ihre Geschäfte schließen. Die Krise des Retailmarkts nimmt momentan wahrlich bedenkliche Züge an.
Im vergangenen Jahr haben alleine in den Top 500 „UK High Streets“ etwa 2.500 Geschäfte dichtgemacht – rund 40 Prozent mehr als 2017. Auch Shopping Malls sind davon betroffen. Große Eigentümer der Einkaufszentren wie Hammerson oder Intu bleiben immer häufiger auf Gewerbeflächen sitzen. Laut dem British Retail Consortium wurden von Februar 2018 bis Februar 2019 insgesamt 85.000 Jobs im Einzelhandel abgebaut.
Zugegeben, die gerade beschriebene Entwicklung einzig und allein den Diskussionen rund um den Brexit zuzuschreiben, wäre falsch. Auch britische Einzelhändler haben seit der Jahrtausendwende mit der zunehmenden „Amazonisierung“ ihres Geschäftsbereichs zu kämpfen. Dazu kommen steigende Lohnkosten und Immobilienpreise. Nicht förderlich ist für die Unternehmen aber auch das schwache Pfund, was wiederum eine direkte Folge des drohenden Brexits ist.
Britischer Kreditmarkt als Unsicherheitsfaktor
Auch für die Banken wird der Brexit immer mehr zum Kostenbringer – ob mit oder ohne Deal. Zum einen wird die Bankenaufsicht der EZB für die Geldinstitute in Europa durch den Austritt Großbritanniens um rund ein Fünftel teurer – aufgrund des höheren Verwaltungs- und Personalaufwands auf Seiten der Behörde.
Zum anderen erweist sich der britische Kreditmarkt zunehmend als Unsicherheitsfaktor. Denn mittlerweile häufen sich die Ausfälle. Selbst große Unternehmen haben immer öfter Schwierigkeiten bei der Refinanzierung. Die Kreditvergabe von Seiten der Banken schrumpft, dadurch werden die Investitionen gedrosselt usw. Ein Teufelskreis.
Die deutschen Banken, die traditionell sehr stark in Großbritannien investiert sind, fahren die Kreditvergabe an Unternehmen von der Insel ebenfalls schon seit Jahren zurück: Seit dem Brexit-Votum hat sie um mehr als 40 Prozent nachgelassen. Das schwächt die britische Wirtschaft weiter, nimmt den hiesigen Banken aber auch eine bisher sicher geglaubte Einnahmequelle.
Besonders Gewerbeimmobilien in Großbritannien wurden von deutschen Banken in der Vergangenheit gerne mitfinanziert. Noch immer belaufen sich die Anlagen von drei der fünf größten Hypothekenbanken in britische Gewerbeimmobilien auf insgesamt knapp zehn Milliarden Euro. Moody’s geht allerdings davon aus, dass gerade Geschäftsimmobilien die Anlageklasse sind, die von einem Brexit ohne Austrittsabkommen am stärksten getroffen werden. Ein Ritt auf der Rasierklinge für die deutschen Geldhäuser.
Doch Teufelskreis hin, Ritt auf der Rasierklinge her – es wird zu einem No-Deal-Brexit kommen, auch wenn die Auswirkungen eines solchen Szenarios für alle Beteiligten fatal wären. Oder glauben Sie ernsthaft, dass Boris Johnson von seinen Kernforderungen abweicht und zu einem Kompromiss bereit ist? London wird dann seinen Status als Zentrum der europäischen Finanzwelt einbüßen – und die Auswirkungen werden in ganz Europa zu spüren sein. Auch in den Bilanzen der deutschen Banken.
Die Kolumne wurde zuerst bei Bilanz/Welt.de veröffentlicht.
(Bildrechte: istockphoto.com/Stephen Barnes)
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